Schlimm: Was Björn Höcke in seiner Rede vom 17. Januar sagt. Schlimmer: Sein beseeltes Glühen, als er merkt, dass er die Menge im Griff hat. Am Schlimmsten: Dass sie aufstehen und jubeln.
Ein Bild hallt in mir nach, seit ich in den 80er-Jahren den Film " Die Welle " gesehen habe. Dieser Schockmoment, als die Schüler in der Aula sitzen und auf den Auftritt ihres Anführers warten und stattdessen auf den Fernsehbildschirmen eine alte Aufnahme von Hitler erscheint. In meiner Erinnerung sagt der Lehrer diesen einen Satz: "Ihr wäret alle gut Nazis geworden".
An diese Szene musste ich gestern Abend denken, als ich mir Björn Höckes Rede vom 17. Januar 2017 in Dresden angeschaut habe.
Ja. Die ganze Rede.
Und jetzt muss das hier dringend aus mir raus, obwohl dies der erste Beitrag auf dieser Website ist und ich diesen Blog eigentlich mit einem ganz anderen Thema starten wollte.
Ich zitiere hier nicht noch einmal die Stellen, die in sämtlichen Medien schon ausreichend dargelegt und auch kommentiert wurden. Dass Höcke das Holocaust-Mahnmal in Berlin als "Denkmal der Schande" bezeichnet hat oder dass er davon faselt, "wieder eine positive Beziehung zu unserer Geschichte auf[zu]bauen" und in diesem Zusammenhang eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" fordert – all das und noch mehr ist an anderen Stellen bereits ausführlich nachzulesen und auch eingeordnet worden. Ich verweise hier ausdrücklich auf den Kommentar von Sascha Lobo auf SPIEGEL ONLINE, in dem er auch Links an die entsprechenden Stellen der Rede setzt.
Wer also keine Zeit (oder nicht den entsprechend stabilen Magen und die guten Nerven) hat, sich die Rede ganz anzusehen, kann sich leicht über ihren genauen Inhalt informieren. Und er kann sich auch das beseelte Grinsen von Höcke anschauen, wenn er merkt, dass er die geifernde Menge voll im Griff hat.
Am allermeisten geschockt haben mich allerdings nicht seine Worte oder dieses machtgeile Grinsen.
Am allermeisten geschockt hat mich eine Szene relativ weit am Ende der Rede (in dem oben angegebenen Link bei ca. 1:37:50). Nur leicht rhetorisch verbrämt beklagt sich Höcke an dieser Stelle darüber, was in deutschen Schulen über den Holocaust gelehrt wird, um in dem Ausruf zu enden: "So kann es nicht weitergehen!" Nur einige wenige im Publikum reagieren darauf mit stehender Ovation. Aber vorne links sitzt ein Mann, der sich an dieser Stelle umdreht und die Leute mit wilden Armbewegungen dazu auffordert, ebenfalls aufzustehen und zu klatschen.
Und die Leute stehen auf.
Sie stehen tatsächlich auf!
An dieser Stelle habe ich die Szene aus "Die Welle" vor mir gesehen. Das betroffene Gesicht des Lehrers. In meiner Erinnerung habe ich seine Worte gehört: "Ihr wäret alle gute Nazis geworden." Und plötzlich habe ich Angst.
Angst davor, dass wir wieder an einem Punkt angekommen sind, wo es nicht viel mehr braucht als ein paar Scharfmacher an den richtigen Stellen, die mit ihrer gedankenlosen Begeisterung und mit ihrer kritiklosen Gemeinschaftsgefühleuphorie genau jenen an die Macht verhelfen, die rhetorisch geschickt das Rad der Geschichte ganz langsam Stück für Stück zurückdrehen wollen.
Angst davor, wie einfach es zu sein scheint, aus Menschen mit Angst vor der Zukunft, eine Herde von Schafen zu machen, die am Ende wieder "Ja!" brüllt, wenn man sie fragt, ob sie Krieg will.
Angst davor, dass es irgendwann doch die wirklich absolut Falschen schaffen, Seniorpartner in einer Regierungskoalition zu werden – oder gleich die von Höcke ganz offen und deutlich angepeilten 51 Prozent der Wählerstimmen zu bekommen.
Ich denke, ich lese mich jetzt mal im Detail durch die Reaktionen der AfD-Führung auf Höckes Rede.
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© 2024 Kathrin Lange | Autorin | Dozentin