Mit einiger Besorgnis habe ich in den letzten Tagen auf Facebook und anderweitig in den Sozialen Medien Diskussionen unter Autorinnen und Autoren verfolgt, in denen es darum ging, wie viel Honorar man eigentlich für eine via Skype oder Zoom durchgeführte Lesung verlangen kann. Da war unter anderem auch die Rede davon, das „erstmal ohne Honorar zu machen“, weil man selbst ja keine Erfahrung mit sowas habe und froh sei, auf diesem Weg dazulernen zu können.
Ehrlich gesagt: Mir stehen die Haare zu Berge, wenn ich solche Argumentationen lese.
Und mehr noch: Mir wird langsam unwohl bei all den vielen Online-Lesungen, die auch in Woche 6 der Corona-Krise immer noch stattfinden. Denn die meisten davon sind völlig öffentlich, es gibt keine Bezahlschranke, kein wie auch immer geartetes "Eintrittsgeld". Und niemanden, der die Lesenden für ihre Mühe bezahlt.
Sicher war es in den ersten Wochen der Corona-Krise gut und richtig, für unsere Leserinnen und Leser da zu sein, vor die Kamera zu treten und Online-Lesungen abzuhalten. Der Ansatz, den Buchhandel damit zu unterstützen, war ehrenwert, und ich könnte mir vorstellen, dass viele Autor*innen auch froh waren über diese neue Art der Öffentlichkeit.
Mir bereitete sie allerdings von Anfang an Bauchschmerzen. Denn die Sache hat leider einen unangenehmen Nebeneffekt: Wir haben unsere Leserschaft damit dazu erzogen, zu glauben, dass Online-Lesungen umsonst sind, und damit berauben wir uns der Möglichkeit, in Zeiten, in denen andere Möglichkeiten wegfallen, eine neue Form des Einkommens zu etablieren.
Nun beginnen die Wochen nach dem ersten Corona-Schock. Verlage und Autor*innen fangen an, neue Lesungskonzepte zu entwickeln, bei denen der Autor/die Autorin nicht mehr hunderte von Kilometern durch die Republik reisen und Nächte in teuren (naja, ich gebe zu, bei manchen Veranstaltern durchaus auch weniger teuren) Hotels verbringen muss. Es wird überlegt, wie man den Zuhörerinnen und Zuhörern ein Gemeinschaftserlebnis bieten kann, wie man das mit dem Signieren hinbekommt (ja, auch das kann man online organisieren, ich habe bereits interessante Ideen dazu gehört!)
Und das Allerletzte, was wir in diesen Zeiten gebrauchen können, sind Veranstalter, die der Meinung sind, die Lesung sei ja „nur“ online, dafür müsse man kein Geld bezahlen.
Einmal billiger Jakob, immer billiger Jakob , heißt es im Volksmund nicht ganz ohne Grund.
Sicher. Eine Online-Lesung benötigt von unserer Seite nicht so viel Aufwand wie eine anloge – Fahrt und Übernachtung fallen ja weg. Aber wir verwenden Zeit auf die Lesung selbst und vor allem: Wir haben vorher Zeit darauf verwendet, Bücher zu schreiben, aus denen wir lesen können. Oft eine Menge Zeit. Und in den meisten Fällen taten wir das im Vertrauen darauf, dass uns das so geschaffene Werk zum späteren Zeitpunkt Einnahmen in Form von Veranstaltungen ermöglicht.
Für all die Ideen, die da jetzt so entwickelt werden, müssen in den kommenden Wochen und Monaten neue Honorarkonzepte entwickelt werden, was schwer genug sein wird. Etliche Verlage sind bereits genau mit dieser Aufgabe beschäftigt. Machen wir es ihnen doch bitte nicht noch schwerer, indem wir uns aus falsch verstandener Unsicherheit, momentan empfundenem technischen Unverständnis oder welchem Grund auch immer von vornherein unter Wert verkaufen. Hören wir auf, ganze Lesungen kostenlos zu streamen.
© 2024 Kathrin Lange | Autorin | Dozentin